Nach Amsterdam
Holland ist eine (Rad-) Reise wert!
Zu fünft (Helga, Christine (unsere Fotografin), Ingrid, Christian und ich, Ulrich) wollten wir wissen, wie es in Holland mit dem Radfahren steht. Also nichts wie hin. Acht Tage hatten wir Zeit, sechs Tage für die Radfahrt, einen Tag in Amsterdam und einen für die Rückfahrt.
Wir sind nicht direkt gefahren, wir wollten noch ein Stück Nordseeküste - Ostfriedland - sehen. Dadurch wäre die Strecke sehr lang geworden. Da wir schon öfter in der Nähe von Hamburg waren, haben wir die erste Etappe bis Oldenburg mit dem Zug zurückgelegt.
Kurz vor 8 Uhr waren wir zu dritt am Bahnhof in Bargteheide. Ingrid und Christian sind in Hamburg zugestiegen. Zweiter Umstieg in Bremen. Gegen 11:30 Uhr kamen wir in Oldenburg an. Glück gehabt: alle Züge waren ziemlich pünktlich.
Man beachte: eins der Räder (links auf dem Foto, nämlich meins) ist ein reines Bio-Rad :-)
In Oldenburg haben wir -wie sollte es auch anders sein- den Bahnhof auf der falschen Seite verlassen. Die erste Aktion war also: einmal um den Bahnhof herum. Nach einem kurzen Stopp beim Bäcker ging es weiter nach Wilhelmshaven.
Das Wetter war nicht so pralle (den Begriff habe ich von unserer Berlin-Tour mitgebracht), es war kalt und es hat den ganzen Tag über ein wenig genieselt. Nach gut 30 km kamen wir in Varel beim Restaurant Emma an (Wenn man es genau nimmt, sind wir eigentlich von Pause zu Pause gehetzt). Ein wenig aufwärmen tat gut. Und, kaum saßen wir im Warmen fing es richtig zu regnen an. Glück gehabt!
Auf dem oberen Foto sitzt die ganze "Rentnergang" bei Kaffee und Kuchen.
Dann, endlich, bei Dangast, kam die Nordsee in Sicht. Entlang des Deichs führte die Strecke weiter nach Norden. Bargteheide liegt ein gutes Stück (etwa 100 km) landeinwärts. Der Blick auf die Nordsee ist von dort durch eine Reihe von Bäumen und Büschen versperrt :-). Am Jadebusen versperrt der Deich die Sicht auf die See. Also war die klare Entscheidung: wir fahren den Deich entlang, aber auf der Seeseite. Leider!
Die Gegend war Überschwemmungsgebiet, nach einigen 100 Metern war die Betondecke des Weges mit eingetrocknetem Watt überzogen. Zunächst kein Problem. Aber dann wurde die Schlammschicht dicker und es war nur noch die Oberfläche eingetrocknet. Darunter war Match. Viel Match! "Dahinten wird es besser!" rief eine von uns. Pustekuchen! Der Schlamm setzte sich so dick und fest zwischen Reifen und Schutzblech, dass auch das Schieben kaum möglich. Endeffekt: Die Räder und wir auch, sahen aus "wie Sau". So konnten wir unmöglich in der Unterkunft aufschlagen.
Reinigungsversuche mit Pappdeckeln und Stöcken waren ziemlich erfolglos. Ein netter Mensch in Dangast gab uns den Tipp, dass es Kurhaus einen Wasserhahn gäbe. Dort durften wir unsere Räder reinigen. Leider gab es keinen Schlauch. Die Getränkeflaschen mussten als Spritzflasche herhalten. Weit über eine Stunde hat es gedauert, bis die Räder und auch wieder einigermaßen passabel aussahen.
Die Unterkunft in Wilhelmshaven hatte leider keine Restauration. Die nächste, ein Grieche, war knapp 2 km entfernt. Die nicht einstimmige Entscheidung (3:2): Wir gehen zu Fuß. Da ich selbst lieber mit dem Rad gefahren wäre, habe ich die Führung an einen erfahrenen Tourenleiter abgeben. Der führte uns jedoch entlang der besten Auto-Strecke. Es wurde ein langer Weg ...
Durch Ostfriesland nach Westen, entlang der Nordseeküste, vor, auf und hinter dem Deich. Wer einmal dort Rad gefahren ist, weiß: der Wind kommt von vorn. Immer! Wir haben Radfahrer gefragt, die uns entgegen gekommen sind. Auch die hatten Gegenwind!
Den ständigen Deichbewohnern hat das wenig ausgemacht. Die hatten außerdem ihre Hinterlassenschaften vorzugsweise auf dem Weg platziert. Aber so schlimm wie Match tags zuvor war es doch nicht.
Nachmittags wurde es dann recht heftig, etwa vier Windstärken. Christian ist mit seinem E-Bike vorgefahren und ich konnte im Windschatten fahren. Ich glaube, wenn ich an der Küste wohnen würde, hätte ich längst auch eins. Altersmäßig stände mir das schon längst zu.
Am dritten Tag gab es eine besondere Herausforderung. Die Etappe war gut 80 km lang und wir mussten über die Ems. Fährt die Fähre? Wenn nicht, wären das gut 20 km Umweg. Und wenn sie fährt, erreichen wir die letzte Fähre vor deren Mittagspause? Ansonsten würde es abends sehr spät werden.
Also früher als sonst los, zügiges Tempo und nur kurze Stopps zum Trinken. Keine Zeit zum Quatschen. Letzteres war am schwierigsten zu organisieren.
Geschafft! Trotz Gegenwind (der Wind hatte auf Südwest gedreht, so dass er -wie immer- wieder von vorn kam) sind wir etwa 20 Minuten vor Abfahrt der Fähre am Anleger eingetroffen.
Bei der Überfahrt konnte man aus der Ferne das Emssperrwerk sehen. Es dient zum einem dem Schutz vor Hochwasser und staut zum anderen bei Bedarf den Fluss auf, um auch größeren Schiffen das Befahren der Ems zu ermöglichen. Der Bau war nicht unumstritten. Das Sperrwerk hat massive Auswirkungen auf das Ökosystem der Emsmündung gehabt.
Dann kam Holland ...
In drei weiteren Etappen ging es quer durch die Niederlande nach Amsterdam. Wie bereits bemerkt: Typisch für Holland ist der Gegenwind. Am Tag fünf standen gut 90 km in Richtung Südwest an, und, wie gehabt, Wind aus Südwest und wieder mit 3-4 Windstärken. Die Route führte die meiste Zeit durch Wiesen und Felder. Da kam der Wind voll zur Geltung. Wieder habe ich darüber nachgedacht, dass ein E-Bike doch eine gute Sache wäre ...
Die Radwege in Ostfriesland waren nicht schlecht. Aber in Holland waren sie um Längen besser. Das betraf sowohl die Qualität der Oberfläche (Wurzelaufbrüche, wie sie bei uns gang und gäbe sind, gab es fast nie) als auch die Wegeführung. Nur in den ruhigen Wohngebieten wurde der Radverkehr auf der Straße geführt. Selbst dort gab es meist auch noch Schutzstreifen. Ansonsten fuhren wir baulich vom Auto- und Fußverkehr getrennt auf breiten Radwegen.
Auch Knotenpunkte waren ohne Gefahr passierbar. Nie musste man sich in den Autoverkehr einfädeln. Radfahrende wurden stets separat geführt. Es gab viele Kreisverkehre. Die sind deutlich übersichtlicher als Kreuzungen. Häufig haben Radfahrende Vorfahrt.
Die Autofahrer haben deutlich mehr Rücksicht auf Radfahrende genommen, als es hierzulande üblich ist. Das liegt u.a. daran, dass in den Niederlanden ein anderes Recht gilt.
Bei Unfällen zwischen einem Kraftfahrzeug und einem nicht motorisierten Verkehrsteilnehmer (Fußgänger/Radfahrer) gilt der Grundsatz der Gefährdungshaftung. Das heißt, dass der Fahrer auf jeden Fall haftet, es sei denn, er kann nachweisen, dass höhere Gewalt im Spiel war. Ist der Fußgänger oder Radfahrer unter 14 Jahren, haftet der Fahrer in vollem Umfang. Sind sie älter als 14 Jahre haftet der Fahrer noch zu mindestens 50%. Was die restlichen 50% anbelangt, hängt vom eventuellen Mitverschulden anderer Unfallbeteiligter ab.
Tag 6 abends: Amsterdam kam immer näher. Die Radwege wurden breiter, immer mehr Radfahrende, mit immer größerem Tempo. Mit dem Gepäck auf unseren Rädern waren wir zu langsam, viel zu langsam für den Amsterdamer Fahrrad-Berufverkehr. Da mussten wir höllisch aufpassen, um nicht unter die (Fahr-) Räder zu kommen.
Unsere Unterkunft war in der Nähe des Hauptbahnhofs. Gut, dass es Navigationsgeräte gibt. In der Stadt anhalten und auf eine Karte schauen, extrem schwierig. Es gibt fast keinen Platz. Überall Fahrräder und Radfahrende, die zügig unterwegs sind; sehr zügig sogar.
Auch einen Platz zum Abstellen der Räder zu finden, war nicht einfach. Platz für fünf Räder mit Gepäck: Pustekuchen. Also zum Eincheken: erst einmal mitten auf den Gehweg stellen. Oh Wunder, niemand hat gemeckert!
Das Hotel hatte keine Möglichkeit, die Räder abzustellen. Auf der Straße wollten wir sie nicht lassen. Auch in Amsterdam sind teuere Pedelecs ein beliebtes Diebesgut. Der Bahnhof war rund 300 Meter entfernt und dort gab es mehrere (!) riesige, mehrstöckige Fahrradparkhäuser. Das Abstellen der Räder ist für 24 Studen kostenlos, danach 1,35€ pro Tag. Weil wir uns blöd angestellt hatten, mussten wir auch die nicht bezahlen.
Wenn so viele Räder ein- und ausfahren, muss es unkompliziert gehen. Es gab keine Schranken im Parkhaus. Die Niederländer halten beim Einfahren -meist während des Fahrens- ihre Berechtigungskarte vor einen Scanner. Beim Ausfahren gibt es einen Alarm, wenn ein Rad herausgefahren wird, ohne dass eine Karte -wieder einem Scanner- vorgezeigt wird, mit der ein Rad eingescheckt wurde. Da kommen und gehen Radfahrende im Sekundentakt. Und, weil's ja meist nichts kostet, halten sich die Radfahrer an die Regeln.
Amsterdam selbst haben wir nicht mit dem Rad erkundet. Mit fünf Leuten in kleinen Gassen mit Gegenverkehr und -weil häufig keine Gehwege vorhanden- zusammen mit Fußgänger: das war uns einfach zu wuselig. Das hätte man zuerst einmal einzeln üben müssen.
Würde ich es wieder machen: ein klares Jein! In Holland mit dem Rad zu fahren geht Spitze! Das ist dort ein anderer Schnack. Wenn man sich das Video mit dem Interview mit Ruben Loendersloot anschaut, kann man richtig neidisch werden (Radfahren für attraktive Städte: Wie eine gute Fahrrad-Infrastruktur die Lebensqualität erhöhen kann). In Amsterdam Radfahren: einfach zu voll. Amsterdam ist DAS Reiseziel in Holland, auch für Radtouristen. Und, die Amsterdamer fahren selbst überwiegend mit dem Rad. Wer Amsterdam mit dem Fahrrad erkunden will, sollte zunächst bei einer der vielen geführten Radtouren mitmachen. Man sieht dann die wirklich interessanten Dinge und kann sein Verhalten auf die dortigen Gegebenheiten einstellen.